Nennerin
Eine Broschüre war zu korrigieren.

Mein Auftraggeber hatte angemerkt, ich solle für geschlechtergerechte Sprache Sorge tragen. Der Diskussionen über grammatisches und natürliches Geschlecht müde, die ich so oft schon geführt habe, ging ich also ans Werk.

Das Anliegen der Broschüre war aller Ehren wert, ging es doch um Kinderrechte. Auf den ersten Seiten des Textes gab es kaum etwas zu beanstanden. Da tummelten sich Schülerinnen und Schüler nebeneinander, daß es eine Art hatte. Wo es holprig zu werden drohte, erhielt das Lehrpersonal ein braves substantiviertes Partizip und alle Akteure wurden von innen flankiert.

Dann aber schien sich im Text eine gewisse Nachlässigkeit einzuschleichen. Immer häufiger mußte ich den Besuchern ein „Besucherinnen und“ schenken; ingleichen hatte ich den Vertretern, Mitstreitern, Experten, Akteuren, Pendlern, Energieberatern, Zeugen, Polizisten und Landschaftsgärtnern vermehrt eine Partnerin zur Seite zu stellen, auf daß sie sich nicht so alleine fühlen. Fast wäre ich über ein paar Muntermacher gestolpert, bei denen es sich, wie ich im letzten Augenblick bemerkte, lediglich um Energiespenderinnen und -spender für das gesunde Kinderfrühstück handelte. Die Clownin hingegen nahm ich im Handstreich.

So vergingen einige Stunden damit, den Text unlesbar, jedenfalls mindestens unvorlesbar zu machen, ich ließ mich auch nicht von Sätzen stoppen, in denen die Verständlichkeit der angeblichen Gleichberechtigung geopfert wurde, etwa jenem, der von „Kooperationen zwischen Lehrerinnen, Ärzten, Sozialarbeitern, Arbeitgeberinnen und Vereinen“ handelte, die von den Ideen von „Mitmacherinnen, Weitersagern, Anstiftern, Ideengeberinnen, Nach- und Querdenkern“ profitieren sollten, einem PC-Monstrum, bei dem man sich nur noch an den Kopf fassen kann.

An zwei Stellen konnte ich dann doch nicht umhin, eine Anmerkung zu schreiben. Den „Multiplikatorinnen und Multiplikatoren“ gab ich auf den Weg, daß wir, wenn wir nun beginnen, mathematische Begriffe zu feminisieren, demnächst auf keine sprachliche Nennerin mehr kommen, und bei dem Satz: „[Weltweit ist] fast jeder fünfte Erwachsene [...] Analphabet“ schrieb ich, daß es richtig „Fast jede fünfte Erwachsene ist Analphabetin und fast jeder fünfte Erwachsene ist Analphabet“ heißen müsse und daß die prozentualen Angaben besser überprüft werden sollten, weil in vielen Ländern wahrscheinlich mehr Frauen Analphabetinnen seien als Männer Analphabeten, da sie vielerorts leider weniger Zugang zu Bildung haben.

Ich bin relativ sicher, daß die Analphabetin letztlich nicht auftaucht. Und ich würde allen Lehrenden und Gefahrensucherinnen das gleiche Schicksal wünschen.

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damals, Montag, 19. November 2007, 10:08
Da bin ich mir auch sicher.

chat atkins, Dienstag, 20. November 2007, 11:46
Du VerbrecherIn, willst du mit deiner Nachlässigkeit die Errungenschaften der internationalen Frauenbewegung konterkarieren?

Diejenige SchmierantIn, die erstmals auf die Idee kam, das grammatische Geschlecht mit dem biologischen gleichzusetzen, die sollte man beidfüßig einige Runden um die Sprachlandschaft vor sich her treten. Weil dieser Blödsinn seither an jedem Text klebt wie Schifferscheiße ...

Dabei sind die Regeln doch ganz einsichtig: DIE Sonne / LE Soleil - DER Mond / LA Lune - DIE Tour / LE Tour - DER Turm / LA Tour - DAS Mädchen / LA Fille - kurzum: das alles hat wohl eher etwas mit Beliebigkeit zu tun, aber keinesfalls mit Patriarchalismus.

cabman, Dienstag, 20. November 2007, 11:57
Es wirkt schon fast bedrohlich und schrammt dabei die Lächerlichkeit...
Schöner Text, schönes Deutsch!

monarch, Donnerstag, 22. November 2007, 15:01
Falls du auf brachiale sprachliche "Gleichberechtigung" stehst, empfehle ich dir die Wochenzeitung WOZ. Die besteht nicht nur auf BinnenMajuskeln, sondern auch auf gleichberechtiger Nennung von GefängnisinsassInnen, PolizistInnen, Wahnsinnigen etc. Dies im Unterschied zur verschämten Mainstream-Presse, die zwar von Bürgerinnen und Bürgern, aber niemals von Einbrecherinnen und Einbrechern spräche.

http://www.woz.ch/

karlpen, Dienstag, 5. Februar 2008, 23:07
Wie ist denn bei einer voll gleichberechtigten Sprachregelung die Reihenfolge der Nennung geregelt?

Es ist doch höchstwahrscheinlich nicht richtig, immer die weibliche Form vorrangig zu nennen.

schandhase, Donnerstag, 7. Februar 2008, 14:20
Was heißt "voll gleichberechtigte Sprachregelung"? Da müssen Sie/muss Er wohl irgendjeman/fraudeN fragen, die/der daran glaubt, man könne sowas regeln.

dhonau, Donnerstag, 19. Juni 2008, 17:36
köstlich!
eine notiz von eim, der die alte parol des wieners ossi wiener aus die verbesserung von mitteleuropa: "alle menschen sollen freundinnen werden" auswendig glernt hat, um sie eines tages wieder zu reaktivieren.
auf die nennerin gebracht: die welt ist eine frau