Sonntag, 18. November 2007
Nennerin
Eine Broschüre war zu korrigieren.

Mein Auftraggeber hatte angemerkt, ich solle für geschlechtergerechte Sprache Sorge tragen. Der Diskussionen über grammatisches und natürliches Geschlecht müde, die ich so oft schon geführt habe, ging ich also ans Werk.

Das Anliegen der Broschüre war aller Ehren wert, ging es doch um Kinderrechte. Auf den ersten Seiten des Textes gab es kaum etwas zu beanstanden. Da tummelten sich Schülerinnen und Schüler nebeneinander, daß es eine Art hatte. Wo es holprig zu werden drohte, erhielt das Lehrpersonal ein braves substantiviertes Partizip und alle Akteure wurden von innen flankiert.

Dann aber schien sich im Text eine gewisse Nachlässigkeit einzuschleichen. Immer häufiger mußte ich den Besuchern ein „Besucherinnen und“ schenken; ingleichen hatte ich den Vertretern, Mitstreitern, Experten, Akteuren, Pendlern, Energieberatern, Zeugen, Polizisten und Landschaftsgärtnern vermehrt eine Partnerin zur Seite zu stellen, auf daß sie sich nicht so alleine fühlen. Fast wäre ich über ein paar Muntermacher gestolpert, bei denen es sich, wie ich im letzten Augenblick bemerkte, lediglich um Energiespenderinnen und -spender für das gesunde Kinderfrühstück handelte. Die Clownin hingegen nahm ich im Handstreich.

So vergingen einige Stunden damit, den Text unlesbar, jedenfalls mindestens unvorlesbar zu machen, ich ließ mich auch nicht von Sätzen stoppen, in denen die Verständlichkeit der angeblichen Gleichberechtigung geopfert wurde, etwa jenem, der von „Kooperationen zwischen Lehrerinnen, Ärzten, Sozialarbeitern, Arbeitgeberinnen und Vereinen“ handelte, die von den Ideen von „Mitmacherinnen, Weitersagern, Anstiftern, Ideengeberinnen, Nach- und Querdenkern“ profitieren sollten, einem PC-Monstrum, bei dem man sich nur noch an den Kopf fassen kann.

An zwei Stellen konnte ich dann doch nicht umhin, eine Anmerkung zu schreiben. Den „Multiplikatorinnen und Multiplikatoren“ gab ich auf den Weg, daß wir, wenn wir nun beginnen, mathematische Begriffe zu feminisieren, demnächst auf keine sprachliche Nennerin mehr kommen, und bei dem Satz: „[Weltweit ist] fast jeder fünfte Erwachsene [...] Analphabet“ schrieb ich, daß es richtig „Fast jede fünfte Erwachsene ist Analphabetin und fast jeder fünfte Erwachsene ist Analphabet“ heißen müsse und daß die prozentualen Angaben besser überprüft werden sollten, weil in vielen Ländern wahrscheinlich mehr Frauen Analphabetinnen seien als Männer Analphabeten, da sie vielerorts leider weniger Zugang zu Bildung haben.

Ich bin relativ sicher, daß die Analphabetin letztlich nicht auftaucht. Und ich würde allen Lehrenden und Gefahrensucherinnen das gleiche Schicksal wünschen.

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