Der 16. August 1977 – ein großer Tag für Breitscheid (Diözese Trier): die Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag des größten Sohnes der Stadt, Prälat Johannes Nikolaus Zender, weiland Kaplan von St. Liebfrauen in Düsseldorf, später langjähriger Leiter des Bundes Neudeutschland, Visionär einer prachtvollen gesunden deutschen Jugend, die man nach Herzenslust penetrieren kann, stehen an. Doch mitten in das Fest hinein platzt Elvis Aron Presley, genauer gesagt die Nachricht seines Todes. Der Schock sitzt tief. Wie überall in Deutschland bleiben auch in Breitscheid die Bratwürste ungegessen, es legt sich eine lähmende Stille über die Menschen. Die Welt, das kann man mit Fug sagen, hält für einen Tag den Atem an. Elvis Presley sogar für länger.

Blenden wir zurück ins Jahr 1935. Wir schreiben den 8. Januar: „Den 8. Januar“. Im verschlafenen mississippinischen Kaff East Tupelo (dt. etwa: „Ist Breitscheid“) gebiert Gladys Presley gemeinsam mit ihrem Mann Vernon gegen 4:30 Uhr überraschend zwei Söhne, die auf die Namen Elvis Aron und Jesse Garon hören sollen. Elvis tut ebendies nach einigen Monaten, Jesse hingegen zur Enttäuschung seiner Eltern nicht. Wie Vernon und Gladys später erfahren, ist er bereits bei der Geburt vom Becken seines Bruders erdrückt worden und verstorben.

Mit diesem Schicksalsschlag werden die Presleys nicht fertig. Vernon, der sich bis dahin als Baumwollpflücker betätigt hat, macht eine Umschulung zum Scheckfälscher und muss ins Arbeitslager. Dort zeigt er Touristen, unter welch erniedrigenden Lebensbedingungen er und seine Haftkollegen leben müssen. Wegen einer besonders guten Führung wird er zwar bald wieder entlassen, kann aber nicht mehr entscheidend in die Erziehung seines Sohnes eingreifen. Denn während seiner Haftzeit hat sich zwischen Elvis und Gladys etwas aufgebaut, das von den Biographen abwechselnd als „sehr liebevolles Verhältnis“, „außerordentlich liebevolle Beziehung“ oder „ungemein liebevolles Miteinander“ beschrieben wird. Was das bedeutet, kann sich jeder ausmalen, der eine entsprechende Vorlage besitzt. Elvis ist zum Muttersöhnchen geworden. Eine normale amerikanisch-bürgerliche Jugend, wie Vernon sie für seinen Sohn vorgesehen hat (in Diners rumlungern, Weiber flachlegen, Lehrer abknallen), ist von nun an nicht mehr möglich. Zwar gibt es da und dort ein Aufbegehren des Sohnes, aber das wird von Gladys im Keim erstickt. So schenkt sie Elvis eines Tages nicht das Gewehr, das er sich gewünscht hat, sondern eine Gitarre, die er sich dann selbst beibringt. Elvis muss nun sein Leben als Sänger fristen.

Es kommt, wie es kommen muss. Im Jahre 1945 treibt die einnehmende Mutter den Unerfahrenen zu einem Gesangswettbewerb bei der Tupelo Fair and Daily Show (dt. etwa: „anständige und Hauptstadt-von-Indien-Veranstaltung in Breitscheid“), den Elvis gewinnt. Kaum hat er sich erholt, zwingt sie ihn acht Jahre später, nachdem die Familie nach Memphis, Tennessee, umgezogen ist, eine Demo-Platte aufzunehmen (der Titel ist „My Happiness“, dt. etwa: „Meine Glücklichheit“) und sich zu schenken. Diese Tatsache wird heute gern verschwiegen, denn Demos sieht der Amerikaner gar nicht gern. Aber die Aufnahme übertrifft alle Erwartungen, Elvis wird unter Vertrag genommen, und im Juli 1954 ist er mit einem Lied namens „That’s alright Mama“ (dt. etwa: „Das ist alles rechts, Mutter“) zum ersten Mal im Radio zu hören.

Weil die Mutter versäumt hat, einen anständigen Jungen aus ihm zu machen, muss der junge Elvis seinen Wehrdienst ohne jegliche Vorbildung an der Waffe antreten. Sein Glück ist es, dass der Koreakrieg schon vorbei ist. Welche Schande hätte der Verweichlichte seinem Land im Kampf gemacht, der immer nur „Du bist nichts als ein Hündchenhund“ singen mag, während die tapferen Kameraden an seiner Seite die Schlitzaugen dezimieren. So aber kommt Elvis ein Jahr lang nach Deutschland und wird bei der Armee als Funker eingesetzt. Der Funk war mein Leben, sagt er später einmal, aber seine Musik bleibt zeitlebens beeinflusst von Rock’n’Roll und Country, trägt jedoch keinerlei Funk-Elemente – ein weiteres der großen Geheimnisse, die sich um den King ranken.

Das Leben in Deutschland prägt Elvis tief. Seine Mutter, die ihn täglich in die Kaserne begleitet (sie ist kurz vor Elvis’ Wehrdienst gestorben und hat nun viel Zeit), ist zufrieden mit ihm. Elvis legt jeden Monat einen halben Zentner zu und muss am Ende der Dienstzeit mit einem Flugzeugträger zurück in die USA gebracht werden. Seine Erinnerungen an einen merkwürdigen Abend in Rheinland-Pfalz bannt er in ein unvergessliches Lied („Suspicious Mainz“).

Zurück in Amerika stürzt sich Elvis in die Arbeit. Er ist in Deutschland mit einem vierzehnjährigen Mädchen namens Priffpfilla Bolljöh in Liebe gefallen, das er gerne kaufen möchte. Dazu braucht er Geld, viel Geld, denn von Jerry Lee Lewis weiß er, dass junge Mädchen sehr teuer sind. Er nimmt mehrere hundert Gramm ab und dreht insgesamt 33 Filme, mit denen er auch die übelgesonnensten Filmkritiker zum Verstummen bringt. Ob er nun den jugendlichen Sunnyboy gibt, der auch singen kann, oder den immer gutgelaunten jungen Mann mit Gesangstalent – in jeder Rolle weiß er zu überzeugen. Tausende Konzerte und Schallplattenaufnahmen reihen sich dicht an dicht. Aus dieser Zeit stammen all die unvergesslichen Hits wie Blue Suede Shoes („Betrunkene skandinavische Fußbekleidungen“), Shake Rattle and Roll („Milchmixgetränk, Kinderspielzeug und Brötchen“). Love me tender („Liebe mich Versorgungswagen“), Teddy Bear („Nackter Theo“), In the Gecko („Im Inneren einer Echse“) und und und („and and and“).

Gleichzeitig werden aber auch die Schatten immer größer, die Elvis wirft. Oft sind fast neunzig Lieder in den Top 100 nicht von ihm, außerdem will sich das prüde Amerika nicht so recht damit anfreunden, dass er sich Minderjährige hält, und der Hüftschwung, den er in den Fünfzigern hoffähig gemacht hatte, ist „au nimmer dees“, wie Luis Trenker einmal anmerkt.

So zieht Elvis sich zurück in seine karge Vierhundertzimmervilla Graceland und bleibt dort bis zu seiner Hochzeit 1967, dem Jahr, in dem Priffpfilla vollzählig wurde. Kaum verheiratet, verlässt sie ihn aber wieder, als sie eines Nachts im gemeinsamen Doppelbett keine freie Stelle mehr zum Schlafen findet. Dabei nimmt sie auch das gemeinsame Kind Lisa Marie mit. Hat Elvis schon bei der Aufnahme zu einem seiner größten Hits, My baby left me (dt. etwa: mein Säugling linkt mich), darauf anspielen wollen?

Elvis Aron Presley ist erschüttert, aber er gibt nicht auf. Er kämpft um seine Liebe mit den ergreifendsten Liedern, die er sich hat je schreiben lassen. Doch Priffpfillas Herz erreichen seine Botschaften nicht mehr. Sie lässt sich weder von „Don’t be cruel“ („Sei weniger krullartig zu einem Herz, das eine Truhe ist“) noch von „Are you lonesome tonight“ („Bist du einige Gehälter zunichte?“) zur Rückkehr bewegen.

Da sieht Elvis nur noch einen Ausweg. In der Nacht vom 15. auf den 16. August 1977 lässt er sich Pfannkuchen mit Blaubeersauce machen, sehr viel Pfannkuchen mit Blaubeersauce, noch viel mehr Pfannkuchen mit Blaubeersauce. Und dann beschließt er, im Alter von 42 Jahren, seinem Leben ein Ende zu setzen.

Das Geräusch, wie gesagt, konnte man bis Breitscheid hören, und Prälat Johannes Nikolaus Zender mag sich sein Teil dazu gedacht haben. Aber ob er wirklich tot ist? Sein Becken jedenfalls wurde nie gefunden.

[2002]

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