Offener Brief an den OB der Stadt Aachen
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,

ich wende mich an Sie in Ihrer Eigenschaft als oberster Repräsentant meiner und Ihrer geliebten Heimatstadt. Ich darf Ihnen versichern, daß mir der Entschluß zu diesem Brief sehr schwergefallen ist und ich lange damit gerungen habe, ob ich Sie mit meinem Anliegen behelligen darf. Aber ich habe leider keine andere Wahl. Ich bitte Sie, diesem für mich existenziellen Schreiben etwas von Ihrer kostbaren Zeit zu widmen, denn nichts weniger als meine Zukunft und die Zukunft Aachens hängt von Ihnen und dem Rat der Stadt ab.

Einleitend möchte ich ein wenig zu meiner Person erzählen: Ich bin 48 Jahre alt und zwar nicht in Aachen geboren, aber doch immerhin in einer Stadt in der Nähe, die heute zur Städteregion gehört, und wohne nun seit genau zwanzig Jahren in der Kaiserstadt, so daß ich mich und Sie mich mittlerweile mit Fug einen echten Öcher nennen darf und dürfen. Als Dozent an der RWTH – ich unterrichte dort Deutsch als Fremdsprache – trage ich dazu bei, unsere liebenswürdige Heimat vor allem international bekannt zu machen. Ich glaube, daß mein Unterricht für die Studenten, von denen viele aus Schwellenländern kommen, lehrreich wie unterhaltsam ist und er somit zum positiven Bild Aachens vor allem in für die RWTH wichtigen Ländern wie China und Indien beiträgt.
In meiner Freizeit bin ich ein geselliger Typ, ich engagiere mich in einem kleinen Schachclub, spiele in einer lustigen Band und treffe mich gern mit Freunden zum Bier oder zum Würfeln. Ich bin durch und durch ein friedliebender Mensch, kurz gesagt: Ich bin ein echter Sympathieträger und eigentlich aus Aachen nicht mehr hinwegzudenken.

Vor einigen Jahren habe ich begonnen, mir über meine langfristige Zukunft Gedanken zu machen. Ich fühlte mich zwar einigermaßen wohl und hatte auch mein Auskommen, aber auf Dauer wollte ich doch ein wenig höher hinaus, also meiner Person und meinem Nimbus, wie ich es empfand, irgendwie angemessener leben. Wie Sie als gelernter Maler und Lackierer aus eigener Erfahrung wissen, ist es nicht leicht, die gesellschaftlichen Schranken zu überwinden und die Akzeptanz auch höherer Kreise zu gewinnen. Sie selbst haben ja ganz schönes Glück gehabt, daß man Sie letztes Jahr zum Oberbürgermeister gewählt hat und Sie heute zur Aachener Hautvolee gehören. Mit der Zweizimmerwohnung im Ostviertel, wie ich sie hatte, und mit dem mäßig dotierten Lehrauftrag an der RWTH geht das natürlich nicht. Ich brauchte also zunächst ein Heim, das seinen Namen verdient. So erwarb ich recht günstig eine, wie ich finde, immer noch bescheidene Immobilie im Preuswald, einen Geländewagen und einen Kombi für mich, den süßen offenen Mini für meine damalige Lebensgefährtin und ein Pony für ihre Tochter, das auf einem Gestüt in der Nähe von Roetgen steht, in das ich mich eingekauft habe. Einen denkmalgeschützten Anbau auf meinem Grundstück habe ich nun vor, komplett renovieren zu lassen und einen modernen Klassenraum einzurichten, in dem betuchtere Studenten auch privat unterrichtet werden sollen. Um Kontakte zu dieser Gesellschaft zu knüpfen, habe ich in den letzten Jahren viele Reisen in die Metropolen der Welt unternommen und viel Zeit unter anderm in Spielbanken und Golfclubs verbracht. Denn Akquise ist ja, wie wir wissen, die halbe Miete!

Leider hat sich die Situation nun aber so gestaltet, daß ich mich gewissen Liquiditätsproblemen gegenübersehe, die ich ohne weiteres nicht aus der Welt schaffen kann.

Ich will Sie nicht mit Einzelheiten belästigen. Sie haben ja als Oberbürgermeister genug zu tun. Nur so viel: Es geht lediglich um einige Umstrukturierungen und nicht um das operative Geschäft, das in keinster Weise beeinrächtigt ist. Und ich werde die Liquiditätslücke nach Rückgabe des Pfandgutes, das sich im Keller meines Anwesens befindet, ganz sicher wieder schließen können.

Bis dahin jedoch wird noch etwas Zeit vergehen, die ich leider nicht habe. Ich bitte Sie deshalb mit diesem Schreiben um Ihre Hilfe. Ich denke an eine Bürgschaft von, sagen wir, 5,5 Millionen Euro, mit denen ich die für meine berufliche Zukunft notwendigen Kredite absichern könnte. Dadurch würde der Haushalt, dessen darf ich Sie versichern, nicht im geringsten belastet. Ich weiß, Sie können Einfluß nehmen auf den Rat der Stadt Aachen und eine baldige Entscheidung herbeiführen. Und selbst wenn es mir nicht gelingen sollte, meinen Keller aufzuräumen, bedenken Sie bitte die Folgen, die ein ablehnender Bescheid für ganz Aachen hätte. Meinem Schachclub würde der Abstieg in die Kreisklasse drohen. Meine Band würde sich in Tränen auflösen. Mein Zahnarzt würde um sein Lebenswerk gebracht. Ungezählte Wirte im Pont- und im Frankenberger Viertel müßten um ihre Existenz bangen.

Wenn Sie mich jetzt fallen lassen, Herr Oberbürgermeister, schaden Sie nicht nur mir und dem obengenannten Personenkreis. Nein, Sie zerstören das Ansehen der Stadt Aachen in der ganzen Welt und vertun eine große Chance für das 21. Jahrhundert.

Ich erwarte Ihre Zusage mit Freude und verbleibe

Mit freundlichen Grüßen

Schandhase

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